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Karl Otto Pöhl, der unbequeme Notenbanker

An der Spitze der Bundesbank wurde Karl Otto Pöhl (hier im Februar 1991) von Bundeskanzler Helmut Kohl ausgegrenzt An der Spitze der Bundesbank wurde Karl Otto Pöhl (hier im Februar 1991) von Bundeskanzler Helmut Kohl ausgegrenzt
An der Spitze der Bundesbank wurde Karl Otto Pöhl (hier im Februar 1991) von Bundeskanzler Helmut Kohl ausgegrenzt
Quelle: picture-alliance / dpa
Elf Jahre lang war Karl Otto Pöhl Präsident der Bundesbank. Zeitweise galt der Quereinsteiger als einflussreichster Geldpolitiker der Welt. Und als einer, der der Regierung in Bonn gerne widersprach.

Der Termin hätte etwas Harmonisches haben können. Ein versöhnliches Signal darstellen können. Aber nicht mit diesem Protagonisten. Als Karl Otto Pöhl am 6. Februar 1990 aus dem Gebäude der Notenbank der DDR tritt und auf eine Meute Journalisten trifft, nimmt er kein Blatt vor den Mund.

„Es wäre eine Illusion zu glauben, dass die Einführung der D-Mark in der DDR irgendwelche realen Probleme dieses Landes lösen würde“, sagt der Präsident der Bundesbank. Obwohl genau das den politischen Spitzen der damaligen Bundesrepublik zur selben Stunde vorschwebt. Doch Pöhl ist dagegen. Wie bei so ziemlich jeder währungspolitischen Weichenstellung in seiner Amtszeit liegt er mit der Regierung in Bonn über Kreuz.

Karl Otto Pöhl hat den Ruf der unbequemen Notenbank entscheidend mitgeprägt – und gezeigt, dass die Frankfurter Institution mit ihren Widersprüchen nicht selten richtig liegt.

Elf Jahre lang stand der Hannoveraner an der Spitze der Bundesbank und gehörte damit zu den bedeutendsten Präsidenten in der Geschichte der Zentralbank. Zeitweise galt er als vielleicht einflussreichster Geldpolitiker der Welt. Nun ist Pöhl im Alter von 85 Jahren verstorben.

Vom Journalist zum Banker

„Karl Otto Pöhl lieferte den Beleg, dass Preisstabilität und Wachstum auch in Zeiten großer geldpolitischer Herausforderungen keine Gegensätze sind, sondern Preisstabilität vielmehr die Grundlage für nachhaltiges Wachstum ist“, sagte der heutige Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Pöhl habe maßgeblich dazu beigetragen, dass die Unabhängigkeit der Bundesbank zum Modell für die Europäische Zentralbank wurde, ebenso wie die klare Ausrichtung auf das Ziel der Preisstabilität. Dieses Ziel sei in seiner Zeit als Bundesbankpräsident stets Richtschnur seines Handelns gewesen. „Mit ihm verlieren wir einen herausragenden Notenbanker, dem wir in der europäischen Währungsunion bis heute viel zu verdanken haben“, so Weidmann.

Dabei war Pöhl eindeutig ein Quereinsteiger im Notenbankwesen. Nach seinem Volkswirtschaftsstudium in Göttingen arbeitete er zunächst mehrere Jahre als Wirtschaftsjournalist. Danach verschlug es ihn in die Finanzbranche: 1968 wurde er Mitglied der Geschäftsführung beim Bundesverband des privaten Bankgewerbes.

Schon zwei Jahre später wechselte er allerdings in die Politik, und er stieg dort gleich hoch auf der Hierarchieleiter ein: Wirtschaftsminister Karl Schiller machte Pöhl zum Ministerialdirektor und Leiter der Abteilung für Mittelstandspolitik. Der steile Aufstieg ging weiter: 1971 wurde er wirtschaftspolitischer Berater von Bundeskanzler Willy Brandt und nach der Bundestagswahl 1972 dann Staatssekretär im Finanzministerium unter Helmut Schmidt.

Nun erst kam Pöhl mit Währungspolitik in Berührung, schließlich ging es seinerzeit um die Freigabe der Wechselkurse und die Gründung des Europäischen Währungsverbundes. Auf dieser Schiene sollte Pöhl fortan bleiben: 1977 wurde er zum Vizepräsidenten der Bundesbank ernannt, drei Jahre später stieg er zum Präsidenten auf.

Warnung vor Politisierung

Der direkte Wechsel des SPD-nahen Regierungsmitglieds in die Führung der Notenbank stieß nicht nur bei politischen Gegnern auf harsche Kritik. Mahner sahen die Unabhängigkeit der Bundesbank in Gefahr und warnten vor einer Politisierung. Doch Pöhl tat das, was seither auch so mancher andere vermeintliche Erfüllungsgehilfe der Regierung im Bundesbank-Vorstand demonstriert hat: Er emanzipierte sich schnell von der Politik.

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So setzte Pöhl Anfang der 80er-Jahre eine konsequente Politik hoher Zinsen durch, obwohl Kanzler Schmidt entschieden dagegen war und öffentlich gegen die Orientierung an „imaginären Geldmengenzielen“ wetterte. Gleichzeitig kritisierte der Notenbanker die Defizite der öffentlichen Haushalte.

Viel deutlicher hätte er sich nicht von seinen früheren politischen Weggefährten absetzen können. So bestätigte im Jahr 1987 die schwarz-gelbe Regierung den einst von der SPD installierten Notenbankpräsidenten für weitere acht Jahre im Amt.

Schließlich genoss Pöhl inzwischen international hohes Renommee: Nach dem Abtritt von Paul Volcker als Chef der US-Notenbank Federal Reserve sahen manche Beobachter in dem Bundesbankpräsidenten die wichtigste Führungsfigur unter den Notenbankern.

Pöhl warnte vor Hast

Doch Pöhl blieb aus Sicht der Politik ein unbequemer Notenbankchef. Die Diskussion über eine gemeinsame europäische Währung nahm Fahrt auf, und der Bundesbank-Chef trat vor allem als Bremser in Erscheinung. Zwar wandte er sich nicht ausdrücklich gegen das Anliegen an sich, warnte aber immer wieder vor Hast und faulen Kompromissen.

Seine wohl wichtigste Forderung: Den Anfang sollte eine „Währungsunion im kleinen Kreis“ machen, weil die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Mitgliedsländer sonst zu unterschiedlich wären. Bekanntlich haben die Regierungen nicht darauf gehört, sondern den Euro gut zehn Jahre später in elf Ländern auf einmal eingeführt. Doch eine Euro-Krise später wirken Pöhls Warnungen heute geradezu visionär.

Zum zweiten großen Streitthema zwischen Frankfurt und Bonn entwickelte sich die Deutsche Einheit. Pöhl war strikt dagegen, „die Wiedervereinigung mit der Notenpresse zu finanzieren“. Besonders der von Bundeskanzler Helmut Kohl angestrebte 1:1-Umtausch der Ost-Mark in D-Mark war ihm ein Gräuel.

Aus Stabilitätsgründen plädierte er für einen Umstellungskurs von 2:1. Auch sonst gab sich der Notenbanker streng: Als ihn der damalige DDR-Regierungschef Lothar de Maizière nach Berlin einlud, beschied er diesem selbstbewusst, doch besser seinerseits nach Frankfurt zu kommen – um so den Eindruck zu vermeiden, die Bundesbank ließe sich von der Politik einbestellen.

Kohl grenzte ihn aus

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Doch erneut blieb Pöhl ungehört. Mehr noch: Kohl schob den Bundesbanker einfach ins Abseits. Dies gipfelte in einem Affront an jenem 6. Februar 1990: Während Pöhl die Notenbank der DDR besuchte, beriet man in Bonn zur selben Stunde über eine rasche deutsch-deutsche Währungsunion, die der Bundesbanker als Schnellschuss abgelehnt hatte – und das, ohne ihn einzubeziehen oder auch nur zu informieren. „Ich stand da wie ein Dackel, in New York, überall“, echauffierte sich Pöhl noch Jahre später.

Das Tischtuch zwischen ihm und der Bundesregierung war ganz offensichtlich zerschnitten. Fortan kritisierte Pöhl unverhohlen die „katastrophalen Zustände“, die die aus seiner Sicht überhastete Währungsunion mit der DDR in Ostdeutschland ausgelöst habe – eine Sicht, die so mancher Ökonom in der Rückschau teilt.

Im Mai 1991 schließlich warf Pöhl die Brocken hin. Offiziell aus „persönlichen Gründen“, doch es war unübersehbar, dass die Differenzen mit der Bundesregierung der Anlass für den Rücktritt waren.

Eigenwillig blieb Pöhl auch danach: Schon Anfang 1992 trat er als persönlich haftender Gesellschafter in die Geschäftsführung der Kölner Privatbank Sal. Oppenheim ein – und scherte sich nicht um die vorgesehene Karenzzeit für Ex-Notenbanker, was nur dank einer Ausnahmegenehmigung der Bundesbank möglich war.

Nicht immer eine glückliche Hand

Als Glanzstück in Pöhls Biografie taugt die Zeit beim Kölner Bankhaus, dessen Chef er später wurde, freilich nicht mehr unbedingt. Denn unter seinem Nachfolger Matthias Graf von Krockow, der die Bankspitze 1998 übernommen hatte, versank Sal. Oppenheim elf Jahre später in einem Sumpf von Verlusten und Skandalen und konnte nur durch einen Notverkauf an die Deutsche Bank gerettet werden.

Eher glücklos blieb auch der von Pöhl später beratene Finanzinvestor Christopher Flowers, der bei der HSH Nordbank und der Hypo Real Estate Milliarden verlor.

Dafür belegte die Euro-Krise nachträglich Pöhls Weitblick – bestätigten sich doch seine Bedenken zum Start der Währungsunion, die nicht von einer politischen Integration oder einer Konvergenz der Wirtschaftspolitik in den Mitgliedsländern begleitet wurde.

Der begeisterte Golfspieler widerstand allerdings der Versuchung, den späten Triumph auszukosten, gab in den vergangenen Jahren nur noch selten Interviews. Und obwohl er gegen den Euro war, wie er nun offen zugab, bescheinigte er der Europäischen Zentralbank zumindest für die ersten zehn Jahre ihres Wirkens eine kluge Politik. „Der einzige Fehler war“, sagte Pöhl im Jahr 2010, „dass man Länder wie Griechenland aufgenommen hat.“

Da würde ihm heute wohl ausnahmsweise auch die Bundesregierung zustimmen.

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